„Woher Wohin“ von Ying-Chih Chen
2016, (Metall, Tinte, Papier) www.facebook.com/yingchih.chen.713
aus der Ausstellungsreihe „den Ort verlassen“, kuratert von Nina Venus mit Studierenden der Muthesius Kunsthochschule in Kiel https://muthesius-kunsthochschule.de/veranstaltungen/ausstellung-von-ying-chih-chen-in-der-reihe-den-ort-verlassen/
Den Ort zu verlassen bedeutet eine Veränderung: atmosphärisch, physisch, emotional, intellektuell – es kann damit zunächst ein geografischer Ort gemeint sein. Genauso aber kann damit ein geistiger, gedanklicher Ort, eine Denkweise, eine Daseinsform bezeichnet sein und die damit die einhergehende Transformation, die Metamorphose hervorheben.
Ying-Chih Chens Skulptur ist ein großes Becken, geformt wie eine Welle, gefüllt mit schwarzer Tinte. Dahinter erstreckt sich eine Wand, bezogen mit besonderem chinesischen Papier, das sich allmählich mit Tinte vollsaugt. Die Tinte zieht in die Fasern des Papiers ein, saugt sich langsam voll und kriecht hoch, färbt das weiße Papier schwarz ein und verwandelt es, wandelt es um.
Ying-Chih Chen präsentiert ihre Arbeit „Woher Wohin“, einer sehnsuchtsvoll angewandten Frage nach Orientierung. Ying-Chih Chen ist in Taiwan geboren und aufgewachsen, sie lebt seit sieben Jahren in Deutschland und studiert an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel bei Prof. Piotr Nathan. Das Pendeln zwischen den Orten, ihrer ursprünglichen Heimat und ihrem Studienort, ist anfänglich ein Ausschlagen in zwei gegensätzliche Richtungen gewesen. Bei Heimweh zeigte ihr innerer Kompass lange den Weg nachhause zur Familie und Freunden, zu vertrauter Umgebung, Landschaft und Kultur.
Je mehr aber sie sich in der neuen, fernen Welt zuhause fand und ihr nahe wurde, umso mehr ist über die Jahre das Heimweh zu einem nicht verorteten und ungerichteten Gefühl geworden. An keinem Ort ganz da zu sein, ganz zugehörig zu sein, immer den anderen Ort zu vermissen, zerteilt das Heimweh in Fragmente, die keinen festen Platz mehr haben.
Die Tinte ist nicht nur deshalb ihr Element, weil es ein kulturelles Erbe ist, das durch sie strömt und das sie kennt und liebt zu handhaben. Tinte ist wie Wasser auch das verbindende Element, das die Orte umspült, an denen sie lebt. In der Kalligrafie wie in der Landschaft ist der weiße Raum so wichtig wie die schwarzen Zeichen. Der Raum und der Nichtraum, die Leere und die Fülle weisen jeweils auf das Andere, hängen voneinander ab und miteinander zusammen wie das Helle und das Dunkle, das Licht und der Schatten.